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The Arctic Circle Residency: Esther Harrison zwischen ART & Arktis

Unser inhouse Interview mit Christopher Baker, Gründer und Inhaber von Baker & Company und seiner Tochter Esther Harrison, die sonst für die Redaktion und Verwaltung des B&C Zine zuständig ist. In diesem Gespräch teilt sie die tiefgreifenden Erfahrungen, die sie während der The Arctic Circle Residency, einer einzigartigen Künstlerresidenz, die Kunst, Natur und Klima vereint gemacht hat. The Arctic Circle Residency ist ein jährlich stattfindendes Programm für Künstler, Autoren, Wissenschaftler, Architekten und Pädagogen. Gemeinsam segelten sie für zwei Wochen durch die hocharktische Inselgruppe Svalbard und den Arktischen Ozean an Bord eines speziell ausgerüsteten Expeditionsschiffs. Ihre Beobachtungen und Erkenntnisse beleuchten die transformative Kraft von Kunst und deren Fähigkeit, globale Herausforderungen wie den Klimawandel emotional und eindringlich zu vermitteln.

Was hat Dich dazu inspiriert, dich für „The Arctic Circle Residency“ zu bewerben, und wie hast Du Dich auf eine solch einzigartige Reise vorbereitet?

Die Inspiration kam vor langer Zeit durch eine Künstlerin, Lena von Goedeke, die ich für mein Online-Kunstmagazin Coeur & Art interviewt hatte, circa 2018. Ich hatte gelesen, dass sie, während sie im Rahmen einer Expedition, einer Künstlerresidenz durch die Arktis segelte, erfuhr, dass sie für einen renommierten Kunstpreis ausgewählt worden war. Der einzige Grund, warum sie die E-Mail erhielt, war der besondere Ort, an dem das Schiff ankerte, Ny-Alesund.

Es ist die nördlichste, ganzjährig betriebene Forschungsstation der Welt.

Ny-Ålesund, October 2024, photo: Esther Harrison
Ny-Ålesund, Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Ich fand die Vorstellung faszinierend und wollte mehr von Lena über diese Erfahrung wissen. Nach unserem Austausch meinte sie einige Mal, „Esther, bewirb Dich unbedingt!“ Und das tat ich dann auch. Ich wurde mit meinem Projekt im Jahr 2020 angenommen und sollte im Herbst desselben Jahres in See stechen, aber dann kam die Pandemie.

Was war Dein erster Eindruck vom hocharktischen Svalbard-Archipel, als Du dort ankamst?

Sehr emotional, nicht von dieser Welt, gleichzeitig auch ein wenig wie nach Hause kommen.

a glacier with a body of water

Kannst Du einen Moment während der Expedition beschreiben, der Dich persönlich oder kreativ tiefgreifend beeinflusst hat?

Das ist schwierig zu sagen, weil es so viele waren. Ich arbeite ortsspezifisch, also spontan, sodass es immer auf Vertrauen beruht, an die richtige Stelle geführt zu werden. Eines Nachmittags landete eine kleine Gruppe von uns auf einer felsigen, kleinen, hügeligen Insel. Alles war tief mit Schnee bedeckt. Mich zog es ans Ufer, um eine Skulptur, inspiriert von der Inuksut-Tradition der Inuit, bei der Steine zu figürlichen Skulpturen aufeinandergeschichtet werden, zu kreieren.

Plötzlich wurde mir klar, dass die „Felsen“, über die ich zum Ufer kletterte, in Wirklichkeit riesige Eisbrocken waren.

Unchartered waters, Spitsbergen October 2024. Photo: Esther Harrison
Unchartered waters, Spitsbergen Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Ich begann, den Schnee abzubürsten, um ihre Formen und Eigenschaften zu erkennen. Plötzlich sah ich, obwohl noch mit Schnee bedeckt, deutlich eine Form hervorragen. Als ich sie herauszog und den Schnee vorsichtig wegwischte, kam ein perfekt herzförmiger Eisrahmen in einer handlichen Größe zu Vorschein. Das war ein besonderer Moment. Einer von unzähligen anderen.

Welchen Einfluss hatte es auf Deine Perspektive und Deine Arbeit, von einer so vielfältigen Gruppe von Künstlern, Wissenschaftlern und Pädagogen umgeben zu sein?

Zwei Wochen lang unter Gleichgesinnten auf einem Segelschiff zu leben, war äußerst inspirierend.

Der Austausch und die gemeinsame Arbeit, das Schaffen, das Lachen und die Erfahrungen, die wir gemacht haben, haben uns zu einem Organismus zusammengeschweißt.

Wir waren 32 Künstler, Schriftsteller und sogar eine Bienenspezialistin, aus der ganzen Welt kommend. Wir kamen uns sehr nahe und sind es immer noch. Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, über die wir täglich miteinander kommunizieren. Das war bei Weitem die beste Erfahrung, die ich im Rahmen einer Künstlerresidenz gemacht habe.

Northwest Spitsbergen, Nationalpark, October 2024. Photo: Esther Harrison
Northwest Spitsbergen, Nationalpark, Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Hat die arktische Umgebung Deinen kreativen Prozess herausgefordert oder inspiriert? Wenn ja, wie?

Sie inspiriert einen auf viele, oft überraschend unterschiedliche Arten. Es ist schwer, dies in Worte zu fassen. Die Stille, die Farben der Gletscher und des Meereises … Man muss dort gewesen sein, um es zu verstehen.

a snowy landscape with mountains and ice

Welche neuen Ideen oder Projekte hast Du während Deiner Zeit an Bord des Expeditionsschiffes entwickelt?

Ich arbeite bereits an diesen und werde es zweifellos auch in den kommenden Jahren tun. Was ich sagen kann, ist, dass sie sich durch verschiedene Medien ziehen. Schreiben, Videoarbeiten, Malerei und vor allem Gridwork, um nur ein paar zu nennen.

Wie hat dieser Aufenthalt Dein Verständnis für den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Arktis vertieft?

Auf zellulärer Ebene.

Moffen, Svalbard, October 2024. Photo: Esther Harrison
Moffen, Svalbard, Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Wie willst Du die in der Arktis gewonnenen Erkenntnisse in Deine künftige Arbeit oder Dein Engagement einfließen lassen?

Ich versuche herauszufinden, wie man KI und AR nutzen kann, um indigene Sprachen hervorzuheben und zu bewahren und mündliche Überlieferungen zu archivieren.

Aber auch, wie KI-Daten gesammelt werden können, um Veränderungen in arktischen Ökosystemen zu bewerten, die dann im Gegenzug ein rechtzeitiges Eingreifen unterstützen können. Ich bin neugierig zu sehen, wie sich das alles visuell in meiner Arbeit wiederfinden wird! Wie immer vertraue ich dem Prozess.

Nordre Isfjorden Nasjonalpark, Svalbard, October 2024. Photo: Esther Harrison
Nordre Isfjorden Nasjonalpark, Svalbard, Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Hast Du herausstechende Beispiele für die ökologischen Herausforderungen in der arktischen Region beobachtet?

Ja. Es gelang uns, am Ende unserer Reise auf genau dem Gletscher zu landen, auf dem wir unsere Expedition begonnen hatten, der damals aber aufgrund des Wetters vollständig mit Schnee bedeckt war. Als wir dorthin zurückkehrten, gab es überhaupt keinen Schnee mehr. Nur der Gletscher auf den Felsen. Eine Gruppe von uns landete dort, um eine lange Wanderung zu unternehmen. Am Landeplatz kamen wir zu einer Stelle, an der man den Gletscher enden sieht. Dieser Anblick hinterließ bei uns allen einen tiefen Eindruck. Wir wanderten neben diesem Gletscher auf einem mit Steinen und Felsen bedeckten Berg.

All diese Felsen waren früher von Millionen Jahre altem Eis bedeckt.

Das bedeutet, dass man dort Fossilien findet! Können Sie sich vorstellen, wie alt diese sind und wie lange diese Fossilien und Felsen zuvor von Gletschereis bedeckt waren …

Fossil Rock in Longyearbyen, Svalbard, October 2024, photo: Esther Harrison
Fossil Rock in Longyearbyen, Svalbard, Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Wie hat das kollaborative Umfeld des Aufenthalts Verbindungen gefördert oder zu interdisziplinären Projekten inspiriert?

Ich hatte das Glück, bei dieser Expedition mit der preisgekrönten interdisziplinären New-Media-Künstlerin Nancy Baker Cahill aus L.A. zusammenzuarbeiten. Ihre hybride Praxis konzentriert sich auf systemische Macht, Bewusstsein, den menschlichen Körper und den Klimawandel. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit habe ich eines ihrer unglaublichen immersiven AR-Kunstwerke (Augmented Reality) nach Svalbard gebracht. Wir haben es direkt über dem Svalbard Seed Vault mit einem sogenannten Geotagging (Zuordnung von geografischen Koordinaten) installiert.

Der Seed Vault liegt eine kurze Autofahrt außerhalb Longyearbyens und wird auch als Weltuntergang-Tresor bezeichnet.

Er wurde als uneinnehmbare Tiefkühlkammer konzipiert, um das weltweit wertvollste Saatgut vor Klimawandel, Kriegen und Naturkatastrophen zu schützen. Da das Projekt mit Nancy Baker Cahill bisher nicht abgeschlossen ist, kann ich zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Einzelheiten bekannt geben.

Svalbard Seed Vault, Longyearbyen, October 2024. Photo: Esther Harrison
Svalbard Seed Vault, Longyearbyen, Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Welche Rolle spielen Künstler Deiner Meinung nach bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie des Klimawandels?

Eine sehr große. Wirklich eine riesige. Es ist die Aufgabe von Künstlern, sich mit Katastrophen wie dem Klimawandel auseinanderzusetzen und darauf aufmerksam zu machen. Diesen immer noch als Herausforderung zu bezeichnen, ist Teil des Problems, wir sind längst darüber hinaus, ihn „Herausforderung“ zu nennen.

Kunst spricht die Wahrnehmung des Betrachters auf vielfältige Weise an, wie es Nachrichten oder wissenschaftliche Fakten nicht können.

Kunst kann den Betrachter auf einer emotionalen Ebene beeinflussen, nicht auf einer logischen. Ohne Reaktionen, die in Emotionen verwurzelt sind, verbunden mit dem Verständnis, dass alles miteinander verbunden ist und die Natur buchstäblich alles ist, entsteht kein innerer Wandel … es ist für mich unverständlich, dass Klimaaktivisten und Künstler als radikal gelten, weil sie die Erde schützen wollen.

Welche eine Sache hast Du während dieses Aufenthalts über Dich selbst gelernt?

Dass meine Art, die Natur zu betrachten und in Kunst zu übersetzen, Licht in die Welt zu bringen, nicht nur berührend, sondern wirkungsvoll, zeitgemäß und notwendig ist.

Forlandet Nationalpark, Svalbard, October 2024. Photo: Esther Harrison
Forlandet Nationalpark, Svalbard, Oktober 2024. Foto: Esther Harrison

Wie würdest Du das Vermächtnis oder den Einfluss des „The Arctic Circle“-Programms auf die kreative und wissenschaftliche Gemeinschaft beschreiben?

Es geht weiter. Unaufhörlich. Ich wage zu behaupten, dass jeder Künstler, der an „The Arctic Circle Residency“ teilgenommen hat, sich für immer verändert hat. Deshalb kann die Wirkung nicht genug hervorgehoben werden.

Der Dominoeffekt, den dieses Programm erzeugt, geht weit über die zweiwöchige Expedition an sich hinaus.

Sie hat ein nicht zu unterschätzendes Vermächtnis geschaffen und schafft es immer noch. Das ist es, was ich die transformative Kraft der Kunst nenne. Diese Künstler-Residenz wurde 2009 ins Leben gerufen und jedes Jahr finden bis zu drei Expeditionen statt, bei denen immer um die 30 Künstler an Bord sind … man kann also von einer ganzen „Armee“ von Künstlern sprechen, die sich leidenschaftlich für den Erhalt der Arktis und damit der Welt einsetzen.

Wenn Du die Arktis noch einmal besuchen oder an einer anderen Residency teilnehmen könntest, was würdest Du anders machen oder worauf würdest Du Dich als Nächstes konzentrieren?

Nichts!

a group of people walking on a rocky mountain

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